Was uns Livermore lehrt und was wir Kostolany schuldig sind

Guten Tag, liebe Leserinnen und Leser,

Anleger schwanken oft in Stimmungsextrema und dabei natürlich in die „falsche“ Richtung. Je weiter die Kurse fallen, desto größer wird die Angst vor weiter fallenden Kursen und je weiter die Kurse steigen, desto größer die Gier nach weiter steigenden Kursen. Doch: 

Natürlich wissen Sie und ich, dass bei niedrigen Kursen die Gewinnchancen und bei hohen Kursen die Risiken überwiegen, doch Gier und Angst sind nun einmal die Grundmotivationen der Börsen, woran sich aller Technologisierung zum Trotz auch niemals etwas ändern wird. Kein anderes Werk vermittelt diese Erkenntnis so eindrucksvoll wie der Klassiker „Jesse Livermore Das Spiel der Spiele“, der vor 99 (!) Jahren unter dem Originaltitel „Reminiscences of a Stock Operator“ erschien und seitdem Generationen von Börsianern geprägt hat. Ich verlegte die deutsche Übersetzung vor nun 27 Jahren, und soeben ist die 18. Auflage unseres Allzeit-Bestsellers erschienen, zu dem mir André Kostolany einst schrieb: „Das Buch ist nicht nur ein Klassiker der Börsenliteratur, sondern auch ein Lehrbuch, das vielen jungen Börsianern besonders nützlich sein kann.“ 

Jesse Livermore lehrt uns vor allem auch, dass nicht Nachrichten Kurse machen, sondern Kurse Nachrichten bzw. deren Interpretation. So sind heute die Kurse im Keller, und Sie lesen dementsprechend viel Negatives, doch wenn die Kurse wieder steigen, werden sich die Schlagzeilen und Erwartungen ins Positive drehen. Dann dürfte auch der nächste Schwung hartnäckiger Aktien-Abstinenzler die Börsenarena betreten, was angesichts einer über Jahre hinaus negativen Realverzinsung (aktuell Minus 6 Prozent/7 Prozent) einen sehr kräftigen Aufschwung auslösen könnte, zumal die Aktienbewertungen mit den Kursen deutlich zurückgekommen sind. Doch: 

Einfach kaufen und wachsen lassen funktioniert nur mit den wenigen langfristigen Gewinner-Aktien, also den wirklichen „Champions“, die über die Kennzahlen der Performance-Analyse identifiziert werden können. Bei Aktien mit geringerer langfristiger Anlagequalität braucht es für positive Erträge ein erfolgreiches Timing, denn hier kommen und gehen die Trends. Das Musterdepot der boerse.de-Signale Aktien USA ist momentan beispielsweise zu 100% investiert, wobei kein einziger Champion gehalten wird und neun von zehn Depotwerten aus dem Öl- und Energiebereich stammen. Mit solchen Titeln ist zwar langfristig kein Blumentopf zu gewinnen, doch seit Jahresanfang hat das Signal-Musterdepot um 20% zugelegt (und dabei neue All-Time-Highs markiert), während unsere 100 Champions noch mit 14% hinten liegen. Dennoch: 

Kostolany unterschied zwischen Zittrigen und Hartgesottenen. Erstere stehen derzeit überwiegend an der Seitenlinie und kommen bei höheren Kursen zurück. Als mental gefestigter Investor bleiben Sie einfach investiert und nutzen Nachkaufgelegenheiten (so wie ich), wenn Sie die Möglichkeit dazu haben. Immerhin investieren wir in die „besten“ Aktien der Welt für die 2021 ganz hervorragend verlief: 89 von 100 Champions kletterten auf neue historische Höchstkurse, der boerse.de-Weltfonds gewann 19,8%, der boerse.de-Aktienfonds 22,8% und der BCDI unglaubliche 36,3%. Diese Qualitäts-Investments sind heute quasi dieselben wie damals – nur die Rabatte für den Einstieg sind neu. Aber irgendwann endet jeder Schlussverkauf und darauf eingestellt zu sein, sind wir Kostolany schuldig ... 

Mit bester Empfehlung
Ihr 
Thomas Müller

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